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https://doi.org/10.14512/rur.151
Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/6: 627–630
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Rezension / Book review

Rink, Dieter; Egner, Björn (Hrsg.) (2020): Lokale Wohnungspolitik. Beispiele aus deutschen Städten

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(1) Professur Stadtplanung, Bauhaus-Universität Weimar, Belvederer Allee 5, 99425 Weimar, Deutschland

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Eingegangen: 29. August 2021  Angenommen: 26. Oktober 2021  Online veröffentlicht: 9. November 2021


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Die unendliche Geschichte der Wohnungsfrage erfährt seit den 2010er-Jahren auch in Deutschland eine Fortsetzung. Dabei verweist die Diagnose einer „Kommunalisierung der Wohnungspolitik“ (Schönig/Rink/Gardemin et al. 2017: 34) auf die lokale Dimension der neuen Wohnungsfrage, die gegenwärtig so intensiv debattiert wird wie zuletzt vor 30 Jahren. Das zentrale Problem der Bezahlbarkeit des Wohnens stellt sich vor allem in den Groß- und Universitätsstädten, die aufgrund der fortschreitenden Liberalisierung des deutschen Wohnungsmarktes und des damit einhergehenden Rückzugs des Bundes aus der Wohnungspolitik vielfach auf kommunale Antworten angewiesen sind. An dieser Stelle setzen Dieter Rink und Björn Egner mit ihrem Sammelband zur lokalen Wohnungspolitik an, der im Nachgang einer Tagung der Schader-Stiftung zur „Rückkehr der Wohnungsfrage“ im Jahr 2017 entstand.

In ihrer weitreichenden Einleitung zeigen die Herausgeber zunächst nicht nur die Relevanz des Themas auf, vielmehr zeichnen sie auch die verschränkten politischen und wissenschaftlichen Debatten der 2010er-Jahre zur Wohnungspolitik nach und systematisieren diese. So verweisen sie auf eine „baupolitische Debatte“ (S. 15), die die Ermittlung des Bedarfs an (Sozial‑)Wohnungen fokussiere, auf eine „sozialpolitische Debatte“ (S. 17), die die neue Wohnungsfrage vor dem Hintergrund der Transformation des Wohlfahrtsstaates verhandele, und schließlich auf eine „immobilienökonomische Debatte“ (S. 19), die die gegenwärtige Wohnungsnot relativiere. Im Hinblick auf die wissenschaftlichen Debatten konstatieren Rink und Egner treffend, dass es sich bei der Wohnungspolitik um ein überraschend kleines und lediglich zyklisch bearbeitetes Forschungsfeld mit interdisziplinären Herangehensweisen handele, in dem die beteiligten Akteure dennoch häufig in ihren jeweiligen Disziplinen verhaftet blieben. Dadurch fehle es an übergreifenden theoretisch-konzeptuellen Ansätzen, was „zu einer in weiten Teilen politischen Debatte auch in der Wissenschaft“ (S. 27) führe, die in „eine liberale, eine wohlfahrtsstaatliche und eine kritische Perspektive“ (S. 25) zu unterscheiden sei. Schließlich identifizieren die Herausgeber insbesondere im Bereich der vergleichenden Studien lokaler Wohnungspolitiken eine erhebliche Forschungslücke.

Vor diesem Hintergrund zielen Rink und Egner mit ihrem Sammelband darauf, „die Varianz lokaler Wohnungspolitiken anhand einer größeren Zahl von Beispielen zu untersuchen“ (S. 36). Dabei führte eine nichtrepräsentative, aber gelungene Fallauswahl dazu, dass eine inter- und transdisziplinär zusammengesetzte Gruppe von Autorinnen und Autoren die lokale Wohnungspolitik 14 deutscher Städte erforschten. Bei diesen Städten handelt es sich um die „Big Seven“ (S. 36) Berlin (Andrej Holm), Hamburg (Joscha Metzger), München (Max Kayser), Köln (Felix Leßke/Jan Üblacker), Frankfurt am Main (Sebastian Schipper/Susanne Heeg), Düsseldorf (Ralf Zimmer-Hegmann) und Stuttgart (Katja Bürmann), um die „sog. B‑ und C‑Standorte“ (S. 36) Leipzig (Dieter Rink), Dortmund (Susanne Frank/Ulla Greiwe), Dresden (Jan Glatter), Hannover (Daniel Gardemin) und Kassel (Uwe Altrock) und um die Universitätsstädte Göttingen (Michael Mießner) und Jena (Tobias Jacobs). Die Beiträge folgen der systematisierenden Herangehensweise der Herausgeber, sind also einheitlich strukturiert und nehmen die Stadtentwicklung, den Wohnungsmarkt und die Wohnungspolitik der jeweiligen Stadt in den Blick. Darüber hinaus gehen die Autorinnen und Autoren einer Vielzahl an gemeinsamen Forschungsfragen nach, deren Beantwortung nicht zuletzt darüber Auskunft geben soll, ob die lokalen Wohnungspolitiken deutscher Städte in den 2010er-Jahren weniger konvergent und reaktiv ausfallen, als es frühere Studien nahelegen.

Dabei zeigt Max Kayser am Beispiel von München, dass auch eine kontinuierliche Wohnungspolitik kein Garant für einen entspannten Wohnungsmarkt sein muss. So investiert die Stadt München seit den 1990er-Jahren im Rahmen der Programme „Wohnen in München“ umfangreiche finanzielle Mittel für eine soziale Wohnungsversorgung, ohne dass das Problem der Bezahlbarkeit des Wohnens nennenswert gelöst wird. Dies wirke sich erheblich auf den sozialen Zusammenhalt in der Stadt aus, da sich immer mehr Bevölkerungsgruppen keine Wohnung mehr leisten könnten. Gänzlich anders stellt sich die Wohnungspolitik der Stadt Frankfurt am Main dar. So arbeiten Sebastian Schipper und Susanne Heeg kenntnisreich heraus, dass sich die Wohnungspolitik jahrzehntelang durch eine starke Neoliberalisierung auszeichnete. Das Thema soziale Wohnungsversorgung musste in den vergangenen Jahren also erst durch soziale Bewegungen auf die politische Agenda gesetzt werden, was zum Beispiel zu einem Mietenstopp für das kommunale Wohnungsunternehmen führte. Gleichzeitig beharrten marktliberale Wohnungspolitiker weiterhin darauf, Renditeinteressen privater Entwickler nicht einzuschränken.

Die Wohnungspolitik der Stadt Dresden steht sinnbildlich für die Auswirkung von kurzsichtigen Reaktionen auf Wohnungsmarktzyklen. So erinnert Jan Glatter zunächst an den restlosen Ausverkauf der kommunalen Wohnungsbestände im Jahr 2006, als die Privatisierungswelle bundesweit ihren Höhepunkt erreichte. In den 2010er-Jahren spannte sich der Wohnungsmarkt in Dresden jedoch wieder spürbar an, was zu intensiven wohnungspolitischen Debatten und nach einem Machtwechsel im Stadtrat zu einer Kehrtwende in der Wohnungspolitik geführt habe. Ein Ausdruck dieser Kehrtwende ist die Neugründung eines kommunalen Wohnungsunternehmens. Am Beispiel von Jena zeigt Tobias Jacobs, welche Folgen mit einer Fokussierung auf den freifinanzierten Wohnungsbau einhergehen. So kennzeichne sich die Wohnungspolitik insbesondere durch eine kommunale Wohnungsmarktbeobachtung, die um das Jahr 2010 eine Anspannungsphase anzeigte. In Reaktion darauf setzte die Stadt Jena auf eine Ausweitung des Wohnungsbestandes durch (hochpreisigen) freifinanzierten Wohnungsbau und somit auf den (widerlegten) Sickereffekt. Dadurch habe der Nachfrageanstieg in der Zwischenzeit befriedigt, der Wohnungsmarkt allerdings nicht entspannt werden können.

Allein dieser exemplarische Abriss zur Untersuchung der lokalen Wohnungspolitiken deutscher Städte in den 2010er-Jahren verdeutlicht, vor welcher Herausforderung Rink und Egner in ihrem übergreifenden Fazit standen. So lassen sich in ihrer vergleichenden Perspektive einige Gemeinsamkeiten identifizieren, die vom zentralen Problem der Bezahlbarkeit des Wohnens über die Reurbanisierung als Hauptursache, die die Städte „häufig unvorbereitet“ traf und selbst für kontinuierlich wachsende Städte „keinesfalls ‚business as usual‘“ (S. 311) gewesen sei, bis hin zum weiterhin völlig unzureichenden Neubau bezahlbarer Wohnungen reichen. Allerdings „unterscheidet sich die Intensität und Richtung der politischen Reaktionen deutlich“ (S. 318). Daher konstatieren die Herausgeber eine erhöhte Varianz innerhalb der lokalen Wohnungspolitiken, die sich vor allem in dem Ausmaß und der Auswahl der wohnungspolitischen Instrumente manifestiere. Diese Varianz sei auf unterschiedliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die finanzielle Lage und auf lokale Ausprägungen der politischen Sphäre zurückzuführen. Ob die lokalen Wohnungspolitiken deutscher Städte darüber hinaus auch weniger reaktiv ausfallen, lasse sich Rink und Egner zufolge nicht abschließend beantworten. Nachvollziehbarerweise offenbaren ihre vorläufigen Einschätzungen jedoch eine sehr pessimistische Lesart: „Von einer proaktiven Politik sind die meisten Städte noch weit entfernt“ (S. 324). Zudem fehle eine „konzentrierte Anstrengung aller Ebenen – von Bund, Ländern und Städten, in der Wohnungspolitik wirklich zu einem ‚großen Wurf‘ zu kommen“ (S. 325).

Mit ihrem Sammelband zur lokalen Wohnungspolitik gelingt es Rink und Egner, einem überraschend kleinen und lediglich zyklisch bearbeiteten Forschungsfeld Geltung zu verschaffen. Dabei ermöglicht ihre systematisierende Herangehensweise eine vergleichende Perspektive auf die lokalen Wohnungspolitiken deutscher Städte in den 2010er-Jahren, deren Bandbreite beeindruckend ist. Der größte Verdienst der Herausgeber ist es jedoch, in ihren rahmengebenden Beiträgen nicht nur auf die Zyklen der Wohnungsmärkte und der Wohnungspolitiken, sondern auch auf die Zyklen der Wohnungsforschung hinzuweisen. Damit geht die Aufforderung einher, sich explizit auch mit deren Historie auseinanderzusetzen, was insofern zu begrüßen ist, als dass einem problematischen Charakteristikum der Wohnungspolitik und der Wohnungsforschung der vergangenen Jahrzehnte auf diese Weise vielleicht endlich etwas entgegengesetzt werden könnte: mit jeder neuen Wohnungsfrage bei null anfangen zu müssen. Da erscheint es nachrangig, dass die einzelnen Beiträge unterschiedlich gehaltvoll ausfallen.

Vollständige bibliographische Angaben des rezensierten Werkes  
Rink, Dieter; Egner, Björn (Hrsg.) (2020): Lokale Wohnungspolitik. Beispiele aus deutschen Städten. Baden-Baden: Nomos. = Lokale Politik 4 | Local Politics 4.


Literatur

Schönig, B.; Rink, D.; Gardemin, D.; Holm, A. (2017): Paradigmenwechsel in der kommunalen Wohnungspolitik? Variationen kommunalisierter Wohnungspolitik im transformierten Wohlfahrtsstaat. In: Barbehön, M.; Münch, S. (Hrsg.): Variationen des Städtischen – Variationen lokaler Politik. Wiesbaden, 25–62. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13394-8_2