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https://doi.org/10.14512/rur.195
Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2022) 80/2: 242–243
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Rezension / Book review

Krüger, Thomas; Piegeler, Monika; Spars, Guido (Hrsg.) (2021): Urbane Produktion. Neue Perspektiven des produzierenden Gewerbes in der Stadt?

Martina Fuchs Contact Info ORCID

(1) Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln, Deutschland

Contact InfoProf. Dr. Martina Fuchs 
E-Mail: fuchs@wiso.uni-koeln.de

Eingegangen: 9. Januar 2022  Angenommen: 17. Januar 2022  Online veröffentlicht: 8. Februar 2022


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Mit dem Begriff der Urbanen Produktion verbindet sich die Hoffnung auf die Herstellung von Produkten und die damit verbundenen Dienstleistungen, die städtischen Räumen neue sozioökonomische Impulse geben. Seit Mitte der 2010er-Jahre hat das Thema in der Stadtforschung und Planungspraxis zunehmend Interesse gefunden (Läpple 2016). Gerade angesichts der kritischen Situation des Einzelhandels und der Gastronomie in den Innenstädten (Mensing 2019), verschärft durch die Corona-Pandemie und damit verbundenen Maßnahmen, bekommt das Thema eine besondere Bedeutung. Neuartige Formen urbaner Produktion versprechen Potenziale nicht nur für innerstädtische Gebiete, sondern auch für andere Lagen in den Städten, insbesondere im Hinblick auf die nachhaltige Revitalisierung von Flächen. Zugleich verheißt die Urbane Produktion auch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Dabei geht es zudem um die Nähe von Arbeit und Wohnen, also um die Verminderung von aufwendigen und emissionsstarken Fahrten, die mit der Suburbanisierung verbunden sind (Mühl/Busch/Fromhold-Eisebith et al. 2019). Gleichzeitig sind gerade in den begehrten innerstädtischen Räumen der Metropolen verfügbares Land und verfügbare Gebäude knapp und teuer, während in anderen Stadtteilen ehemalige Fabrikanlagen leer stehen oder eine Umnutzung erleben.

In Anbetracht des Spannungsfeldes von hohen Erwartungen und begrenzten Möglichkeiten erscheint Urbane Produktion gerade in der öffentlichen Diskussion oft eher als Schlagwort und bedarf – sowohl bezogen auf die Frage der ‚Urbanität‘ als auch der ‚Produktion‘ – einer theoretisch-konzeptionellen Präzisierung ebenso wie einer methodischen Operationalisierung und Messung, um kritisch evaluiert werden zu können. Hierzu leistet dieses Buch einen umfassenden Beitrag. In 14 Kapiteln vereinigt der Sammelband grundlegende Begriffsarbeit, historische Kontextualisierung von städtischer Produktion und neue empirische Einsichten. Er liefert Übersichtsdarstellungen über regionale Unterschiede sowie Fallstudien von verschiedenen deutschen Stadtgebieten. Vorgestellt werden zudem auch die Ergebnisse von Forschungsprojekten, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurden, in denen die Gelingensbedingungen für eine Ansiedlung oder einen Verbleib von Produktion in urbanen Lagen untersucht wurden. Dabei nimmt der Sammelband überwiegend eine Meso-Perspektive auf die Region ein, stellt also sekundärstatistische Übersichten, Gebietstypisierungen und lokale Beispiele vor. Die vertiefte Sicht hinein in die Betriebe, die beispielsweise Auskunft über spezielle digitalisierungsbezogene innerbetriebliche Prozesse gibt, liefern andere Publikationen (z. B. Busch/Mühl/Fuchs et al. 2020). Insofern ergänzt dieser Sammelband die vorliegende Literatur zum Thema Urbane Produktion.

Die Beiträge sprechen insbesondere Themen der Nachhaltigkeit an und liefern damit Anknüpfungspunkte an aktuelle Diskurse, wie über Postwachstumsgeographien, auch hinsichtlich solidarischer Ökonomien und kleinräumiger Kreislaufwirtschaft (vgl. Lange/Hülz/Schmid et al. 2020). Weiterhin greift der Sammelband das Thema ‚Industrie 4.0‘ auf, sprich das aktuelle Bündel digitalisierungsgetriebener Innovationen. Auch das Handwerk findet diesbezüglich Berücksichtigung. Schließlich diskutiert das Buch aktuelle Aspekte der „Zukunftsstadt“ (Libbe/Wagner-Endres 2019), also die im öffentlichen Diskurs verhandelte Frage, wie sich verschiedene Gesellschaftsteile und Wirtschaftssektoren die Stadt teilen – beziehungsweise in ihr interagieren.

Das Buch nimmt auf internationale Diskurse Bezug, konzentriert sich aber auf die Empirie und Praxis in deutschen Städten. Angesichts des weiten Bedeutungsraumes von Urban Production beziehungsweise der Semantik von Urban Manufacturing im englischsprachigen Raum erscheint dies sinnvoll. Die Fokussierung ist darüber hinaus auch folgerichtig, weil schon innerhalb Deutschlands die Städte unterschiedlich spezialisiert sind, somit verschiedene Kompetenzen aufweisen und unterschiedliche Restrukturierungsbedarfe formulieren. Je nach lokalem Kontext kann die Urbane Produktion neue Wirkungen sowohl in Richtung Vertiefung als auch in Richtung Diversität hervorbringen. Gerade Deutschland mit seinen vielfältigen städtischen Ballungsräumen und der großen Bandbreite kleiner und mittelständischer Betriebe braucht angepasste Analysen und Strategien.

Der Sammelband ist vielseitig und umfassend. Die differenzierten und reflektierten Einleitungs- und Abschlusskapitel erzeugen ein abgerundetes Bild zu diesem facettenreichen Thema. Das Buch wendet sich an Akteure in der Wissenschaft einschließlich der Studierenden (besonders Wirtschaftsgeographie und Stadtforschung) und in der Praxis (besonders Politik, Verwaltung und Immobilienentwicklung). Es ist in verständlicher Sprache geschrieben. Die diversen Abbildungen veranschaulichen die Ausführungen.

Vollständige bibliographische Angaben des rezensierten Werkes:  
Krüger, Thomas; Piegeler, Monika; Spars, Guido (Hrsg.) (2021): Urbane Produktion. Neue Perspektiven des produzierenden Gewerbes in der Stadt? Stuttgart: W. Kohlhammer. 60 Abbildungen, 214 Seiten.


Literatur

Busch, H.-C.; Mühl, C.; Fuchs, M.; Fromhold-Eisebith, M. (2020): Hybride Formen urbaner Produktion durch Digitalisierung? Trends und Beispiele aus Nordrhein-Westfalen. In: Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning 78, 4, 321–336. https://doi.org/10.2478/rara-2020-0013
 
Läpple, D. (2016): Produktion zurück in die Stadt. Ein Plädoyer. In: Bauwelt 211, 35, 22–29.
 
Lange, B.; Hülz, M.; Schmid, B.; Schulz, C. (2020): Postwachstumsgeographien: Raumbezüge diverser und alternativer Ökonomien. Bielefeld.
 
Libbe, J.; Wagner-Endres, S. (2019): Urbane Produktion in der Zukunftsstadt. Perspektiven für Forschung und Praxis. Berlin.
 
Mensing, K. (2019): Was kommt, wenn der Handel geht? Neue Nutzungen für Zentren mit Zukunft. In: Standort – Zeitschrift für Angewandte Geographie 43, 3, 192–197. https://doi.org/10.1007/s00548-019-00608-y
 
Mühl, C.; Busch, H.-C.; Fromhold-Eisebith, M.; Fuchs, M. (2019): Urbane Produktion: Dynamisierung stadtregionaler Arbeitsmärkte durch Digitalisierung und Industrie 4.0? Düsseldorf. = FGW-Impuls Digitalisierung von Arbeit 14.