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https://doi.org/10.14512/rur.2570
Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2024) 82/4: 352–354
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Rezension / Book Review

Schinagl, Martin (2022): Digitale Stadtplanung: Alltag und Räume technisierten Planens

Anna M. Hersperger Contact Info ORCID

(1) Forschungseinheit Landschaftsdynamik, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf, Schweiz

Contact InfoProf. Dr. Anna M. Hersperger 
E-Mail: anna.hersperger@wsl.ch

Eingegangen: 16. April 2024  Angenommen: 17. April 2024  Online veröffentlicht: 2. Mai 2024


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Die Digitalisierung prägt maßgeblich und weltweit Gesellschaften und Umwelt. Insbesondere die Kommunikation und Vernetzung haben sich durch soziale Medien und digitale Plattformen globalisiert, was sich unter anderem auf die Arbeitsweisen in der Stadtplanung auswirkt. Darüber sind sich viele einig. Aber was heißt das genau? Mit dem Titel „Digitale Stadtplanung“ schaut Martin Schinagl präziser hin. Zunächst stellt er fest, dass es schwerfällt, deutlich zu benennen, was mit Digitalisierung der Stadtplanung gemeint ist und insbesondere was sich durch die Digitalisierung im Tun der Planenden ändert und was nicht. In der Tat widmet sich die meiste Forschung zur Digitalisierung in der Raum- und Stadtplanung den Versprechen digitaler Technologien, wie zum Beispiel die vielen Veröffentlichungen zu Smart Cities zeigen. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Planungspraxis erhielt bisher hingegen kaum Aufmerksamkeit. Als einer der wenigen Forschenden in Deutschland nimmt sich Martin Schinagl diesem Thema mit einer raumsoziologischen Perspektive an und untersucht in seinem Werk die Arbeitswelten von Stadtplanerinnen und Stadtplanern im Umgang mit digitalen Technologien. Das Buch wurde als Dissertation verfasst und ist 2022 als Band 6 in der Reihe „Re-Figuration von Räumen“ im transcript Verlag erschienen.

Der Autor geht von der These aus, dass die Digitalisierung der Stadtplanung figurative Kräfte freisetzt, durch die sich Aufmerksamkeit und Tun der Planenden neu ausrichten. Diese These wird anhand von folgenden zentralen Forschungsfragen untersucht. Erstens: Was bedeutet digitalisierte Stadtplanung und inwiefern formt die Digitalisierung die sozialen und räumlichen Beziehungen der Stadtplanung? Zweitens: Wie machen sich Planende in der digitalen Praxis ein Bild von Stadt bzw. wie konstruieren sie Räume?

Gegenstand der Untersuchung sind somit die digitalen Praktiken der Stadtplanenden und das daraus resultierende Beziehungsgefüge der Planung. Dieses Gefüge wird hinsichtlich seiner sozialen und räumlichen Dimension analysiert. Die Antworten auf die Forschungsfragen entwickelt der Autor mithilfe ethnographischer Methoden. Dazu beteiligt er sich mittels teilnehmender Beobachtungen am Arbeitsleben von Planenden an ihren Arbeitsplätzen und führt Interviews durch. Die Fallstudien sind in New York (USA), Frankfurt am Main (Deutschland) und Lagos (Nigeria) angesiedelt, wobei die COVID-19-Pandemie die Feldforschung teilweise beeinträchtigte und einen systematischen Vergleich der drei Städte verhinderte. Dies erweist sich jedoch nicht als Nachteil, sondern gibt dem Autor mehr Raum, illustrative Ereignisse zu analysieren, was er gekonnt zu nutzen weiß. Sehr interessant ist, wie er im Buch sein Vorgehen erläutert und die Leserschaft am Forschungsprozess teilhaben lässt. Durch das Einfügen von zum Teil längeren Passagen aus den Transkripten der Interviews, kombiniert mit seinen Überlegungen und Kommentaren, werden diese Teile der Arbeit sehr lebendig. Als Leserin hatte ich das Gefühl, im Planungsbüro zu sitzen und von den Praktikerinnen und Praktikern aus erster Hand zu erfahren, wie die Digitalisierung die Tätigkeiten in ihrem Alltag prägt und verändert.

Zwischen einer informativen Einleitung und einem kurzen Ausblick ist das Buch in drei Kapitel gegliedert, von denen die ersten beiden aufzeigen, wie Beziehungen im Planungsbüro und im Planungsprozess durch technisch unterstützte Kommunikations- und Datenpraktiken hergestellt werden und welche sozialen und räumlichen Arrangements dies bedingt. So beschreibt der Autor anhand ausgewählter Arbeitssituationen, wie die Beziehungen zwischen Planenden durch digitale Technologien gestaltet werden und wie dies zur Identifikation der Arbeitenden mit narrativen Figuren führt. Zum einen positionieren sich die Planenden über die Einteilung in „Künstler“, „Techie“ und „Verwalter“, zum anderen über die Einteilung in „Generalist“ oder „Spezialist“. In einem anderen Beispiel zeigt der Vergleich zwischen New York und Lagos, dass Planende in beiden Städten insgesamt die Softwareprogramme weniger Unternehmen nutzen, sodass diese Werkzeuge einen egalisierenden Charakter haben, da mit ihnen auch Anwendungswissen zirkuliert. Die Ergebnisse der Feldforschung zu konkreten Aspekten wie der Organisation von Arbeitsplätzen und Planungsbüros, zu Entwurfsbesprechungen und Projektpräsentationen, aber auch zu abstrakteren Kategorien wie Akteuren, Daten und Infrastrukturen werden auf diese Art in vielen Details dargestellt.

Darauf aufbauend zeigt der Autor im dritten Kapitel die damit verbundenen Praktiken der digitalisierten Raumkonstruktion auf. Er identifiziert drei verschiedene Praktiken und Methoden, die von digital planenden Personen angewendet werden: „Frickeln“, „Layering“ und „Grounding“. Mit Frickeln beschreibt er den geübten Wechsel der Aufmerksamkeit, um Aufgaben und den Planungsprozess als Ganzes unter dynamischen Arbeitsbedingungen voranzutreiben. Er beobachtet das Frickeln beispielsweise beim Wechsel von einer Software zur anderen und bei der damit einhergehenden Verlagerung der Aufmerksamkeit. Mit Layering beschreibt er eine eng mit der Nutzung von Geographischen Informationssystemen verbundene Praxis, Geodaten in Form von Layer so zu kombinieren, dass räumliche Zusammenhänge und Muster erkannt und räumliche Analysen ohne Ortsbegehung möglich werden. Layering ist somit als eine Form der Telesyntheseleistung zu verstehen, eine mediatisierte Syntheseleistung, die Planung aus der Distanz ermöglicht und verteiltes Arbeiten in der Planung fördert. Grounding wird vom Autor als die wichtigste Praxis der digitalisierten Planung konzeptualisiert und als eine planerische Legitimationspraxis beschrieben, in der die sinnvolle Zusammensetzung eines Bildes von der Stadt auf seine Sinnhaftigkeit hin überprüfbar wird. Der Autor weist darauf hin, dass das Frickeln, Layering und Grounding auch in der analogen Planung zu finden sind, betont aber, dass der Einsatz digitaler Werkzeuge in diesen Praktiken und Methoden die Planung grundlegend verändert.

Der Autor legt ein sehr übersichtliches, interessant bebildertes, informatives und gut lesbares Werk zur digitalen Stadtplanung vor. Interessant ist die Beschreibung der Stadtplanung aus der soziologischen Perspektive des Autors. Wie er selbst betont, war ihm die Stadtplanung von seiner Ausbildung her fremd, was ihm die Möglichkeit gab, das Feld mit dem ethnologisch geschulten Blick des Fremden zu betrachten. Er beschreibt die Stadtplanung als eine gewachsene Disziplin einer „fuzzy community“ mit einem sehr breiten, dynamischen und nicht abgeschlossenen Geflecht von Aufgaben, Beziehungen und Aktivitäten und als eine Gemeinschaft kollektiver Praktiken, die für Aussenstehende nicht leicht zu verstehen ist.

Einen Kritikpunkt möchte ich allerdings anbringen: Das Kapitel der Literaturübersicht zum Thema Digitale Stadtplanung ist etwas enttäuschend kurz. Gerade in den letzten Jahren sind in der englischsprachigen Planungsliteratur einige interessante Artikel zu diesem Thema erschienen, die zusätzliche Perspektiven beigetragen hätten. Dafür wird die Leserin in den Hauptkapiteln des Buches mit interessanten Literaturhinweisen, vor allem zu theoretischen Aspekten, entschädigt. Zudem ist Buch ist sowohl aus theoretisch-methodischer als auch aus empirischer Sicht sehr empfehlenswert.

Das Buch ist für alle, die sich mit der Digitalisierung der Stadt- und Raumplanung beschäftigen, sehr wertvoll, weil es detailreich aufzeigt, wie sich die Planung durch die digital unterstützte Interaktion unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure verändert. Es lenkt den Blick weg von einzelnen digitalen Technologien und ihren Möglichkeiten und Grenzen hin zum digitalen Handeln in der Planungspraxis. Dies ist das große Verdienst dieses innovativen Forschungsbeitrages zur Digitalisierung der Stadtplanung.

Vollständige bibliographische Angaben des rezensierten Werkes:  
Schinagl, M. (2022): Digitale Stadtplanung: Alltag und Räume technisierten Planens. Bielefeld: transcript. = Re-Figuration von Räumen 6. https://doi.org/10.14361/9783839464304