Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning 0034-0111 1869-4179 oekom 1687 10.14512/rur.1687 Regionales Wachstumsmanagement: strategische und instrumentelle Ausgestaltung in interkommunalen Handlungsarrangements Regional management of growth: Governance in inter-municipal management settings Siedentop Stefan Prof. Dr.
stefan.siedentop@ils-forschung.de
ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Brüderweg 22-24 44135 Dortmund Deutschland
Warner Barbara Dr.
barbara.warner@arl-net.de
ARL – Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft Vahrenwalder Straße 247 30179 Hannover Deutschland
06 12 2022 607 609 2022 by the author(s); licensee oekom

Eine regionale, integrierte und kooperative Siedlungspolitik ist von zentraler Bedeutung für die zukunftsfähige Entwicklung von Städten und Regionen. Angemessene Entwicklungsziele für Gewerbe, Wohnen und Daseinsvorsorge können nicht mehr nur allein auf der kommunalen Ebene vorgegeben werden, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an eine ressourcenschonende und kosteneffiziente Siedlungsentwicklung. Im Spannungsfeld zwischen Freiraumschutz und Wachstumsdruck sind regionale Strategien zu entwickeln und im Zusammenspiel mit zahlreichen Akteuren innerhalb des politischen Mehrebenensystems umzusetzen.

Formelle und informelle Politiken des regionalen Wachstumsmanagements erfahren daher – nicht nur in Deutschland – einen erheblichen Bedeutungsgewinn. Innovative Lösungen werden im Sinne einer Regional Governance bereits vielfach modellhaft erprobt. Dabei lässt sich eine große Vielfalt an strategisch-instrumentellen Ausrichtungen und institutionellen Arrangements beobachten. Eine Überführung planungspolitischer Innovationen in den regionalen und kommunalen Planungsalltag ist jedoch nach wie vor mit Widerständen konfrontiert. Starke Interessen- und Nutzungskonflikte, die sich oft an Flächenspar- oder Nachhaltigkeitszielen entzünden, erfordern einen beständigen gesellschaftspolitischen und planungspraktischen Diskurs über den Umgang mit der Ressource Fläche.

Bislang gibt es im europäischen wie deutschen Kontext aber noch wenig systematische Forschung zu den Formen und Inhalten des regionalen Wachstumsmanagements. In diese Lücke stößt das vorliegende Schwerpunktheft „Regional Management of growth: Governance in inter-municipal management settings“, das einen breiten Überblick über die aktuelle Diskussion und Fachpraxis in diesem Themengebiet gibt. Die insgesamt elf Beiträge zu Ansätzen in Deutschland, England, Kanada, Luxemburg, der Schweiz und den USA verdeutlichen die grundsätzliche Wirksamkeit von wachstumsgestaltenden Politiken und Planungen und zeigen anhand von konkreten Beispielen Implementierungsansätze und -probleme auf. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Einbettung verfolgter Konzepte und eingesetzter Instrumente in den jeweiligen regionalen und nationalen Kontext und die hier relevanten Institutionengefüge, Planungsparadigmen und Rechtssysteme. Das Schwerpunktheft vereint sowohl querschnittsorientierte Beiträge zu Inhalten und Wirkungsweisen des Wachstumsmanagements als auch regionale Fallstudien. Im Folgenden werden die Beiträge kurz vorgestellt:

Sebastian Eichhorn, Christian Diller und David Pehlke stellen in ihrem Beitrag „Regionales Flächenmanagement in den deutschen Metropolregionen“ das Zusammenwirken von formeller Regionalplanung und Metropolregionen-Governance in den Mittelpunkt. Sie werfen die Frage auf, wie in Metropolregionen regionale Siedlungsentwicklung gesteuert werden kann und welche Bedeutung ‚weichen‘ Instrumenten des regionalen Flächenmanagements zukommt. Im Ergebnis zeigt sich eine enorme institutionelle Vielfalt des metropolitanen Umgangs mit Wachstum in Deutschland.

Paul Goede geht in seinem Beitrag „Ausgleichssysteme im nachhaltigen Flächenmanagement. Potenziale und Herausforderungen am Beispiel der Region Rendsburg“ auf Erfolgsfaktoren, Potenziale und Hemmnisse bei interkommunalen Kooperationen in der Flächenentwicklung ein. Von zentraler Bedeutung sind dabei Ausgleichsmechanismen, die einen systematischen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Kommunen ermöglichen. Anhand der Region Rendsburg werden Ansätze eines monetären Ausgleichs und einer an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichteten regionalen Entwicklungsstrategie diskutiert.

Sebastian Eichhorn und Stefan Siedentop stellen in ihrem Beitrag „Innen vor Außen? Eine Schätzung der Innenentwicklung in nordrhein-westfälischen Gemeinden, 1979 bis 2011“ einen methodischen Ansatz vor, mit dem die Relevanz der Innenentwicklung auf überkommunaler Ebene über längere Zeiträume hinweg ermittelt und bewertet werden kann. Die Methodik, hier veranschaulicht am Beispiel Nordrhein-Westfalens, kann für große Raumkulissen angewendet werden. Sie ergänzt die Evaluierung der raumplanerischen Standortsteuerung der Wohnungsbautätigkeit.

Eine internationale Perspektive auf das regionale Wachstumsmanagement nimmt der Beitrag „Managing urban growth at the regional level: a review of the international literature“ von Stefan Siedentop, Stephan Schmidt und Alistair Dunlop ein. Auf der Basis einer umfassenden Literaturanalyse, die Studien aus Europa, Nordamerika und einigen asiatischen und ozeanischen Ländern einschließt, diskutieren die Autoren Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Wachstumsmanagement.

Der Beitrag von Deborah Heinen und Jörg Knieling „Spatial policies for growth management in metropolitan regions. A comparison of U.S. American, Canadian and German approaches“ vergleicht unterschiedliche Herangehensweisen in der Ausgestaltung von planerischen Festlegungen zur Siedlungsentwicklung aus einer international vergleichenden Perspektive. Betont wird die Bedeutung des politischen Mehrebenensystems, innerhalb dessen sich die Umsetzung der in den Regionen Stuttgart, Seattle und Vancouver verfolgten „spatial policies“ vollzieht.

Die Neckarmetropole ist ebenfalls Gegenstand eines internationalen Vergleiches im Beitrag von Robin Ganser und Dave Valler „Socio-spatial relations and the governance of city-regional growth: A comparative analysis of two European high-tech regions“. Die Autoren stellen die spezifischen Rahmenbedingungen der strategischen räumlichen Planung in den prosperierenden Regionen Stuttgart und Oxford-Oxfordshire vor und diskutieren die Grenzen des Wachstumspfades, die unter anderem von räumlichen Kapazitäten und der Planungshoheit der Regionskommunen gesetzt werden. In beiden Regionen kommt dem Zusammenspiel zwischen lokal gesteuerter städtebaulicher Entwicklung und übergeordneter Steuerung eine besondere Relevanz zu.

Nicolas Schmitz, Markus Hesse und Tom Becker greifen in ihrem Beitrag „Informalität im regionalen Wachstumsprozess. Einblick in eine ‚Black Box‘ der Planungspraxis am Beispiel Luxemburgs“ den Umgang mit Wachstumsdruck im Großherzogtum Luxemburg auf und stellen dar, wie bei fehlender formeller Regionalplanung informelle Ansätze Planungsentscheidungen im institutionellen Gefüge zwischen Kommune, Staat und privaten Trägern (z. B. Grundeigentümern) strukturieren. Die Autoren formulieren auf dieser Grundlage Ansätze für ein regionales Wachstumsmanagement jenseits von staatlicher Landesplanung und kommunalem Eigensinn.

Innovative Ansätze regionaler Steuerung behandeln Nadine Kießling und Marco Pütz in ihrem Beitrag „Wie funktioniert Raumplanung? Umsetzung von Instrumenten zur Steuerung der Siedlungsentwicklung in Deutschland und der Schweiz“. Mithilfe des Policy-Arrangements-Konzepts werden ausgewählte Planungsinstrumente und ihre regionale Umsetzung vergleichend anhand von Fallstudien bewertet. Näher untersucht werden die Planungsregionen Oberland (Bayern) und Südlicher Oberrhein (Baden-Württemberg) sowie die Kantone Zürich und St. Gallen in der Schweiz.

Für die kommunale Ebene thematisieren Henning Boeth und Manfred Kühn mit ihrem Beitrag „Wachstumskoalitionen und Wachstumskritiken in der Stadtentwicklung: Reurbanisierungs- und Zuwanderungspolitiken“ gemeinsame Strategien kommunaler Akteure in Jena mit jeweils spezifischen Wachstumszielen und -kritiken. Der Beitrag zeigt auf, inwieweit wahrgenommene Wachstumsgrenzen zu einer Erweiterung von Koalitionen mit dem Jenaer Stadtumland führen können. Im Fokus stehen hier die Artikulation kommunaler Wachstumsskepsis oder -verweigerung sowie die Grenzen regionaler Kooperation.

In der Kategorie „Politik- und Praxis-Perspektive“ befassen sich Nicole Iwer und Markus Gerber mit der Frage „Wohin mit den Ansiedlungen, wenn die Flächen ausgehen?“ und diskutieren am Beispiel der ‚Regionalen Kooperationsstandorte‘ in der Metropole Ruhr, welche Herausforderungen und Mehrwerte sich ergeben, wenn nach intensiven kommunikativen Prozessen raumordnerisch geeignete und interkommunal abgestimmte Flächen in Kommunen mit Flächenengpässen und hoher Nachfrage regionalplanerisch festgelegt werden sollen.

Thorben Sell, Björn Braunschweig, Annedore Bergfeld und Sebastian Henn reflektieren in ihrem Beitrag „Bestandsaufnahme und alternative Konzeption der kommunalen Eigenentwicklung zur flächeneffizienten Steuerung der Siedlungsentwicklung“ das Instrument der Eigenentwicklung in der Regionalplanung. Basierend auf einer Kritik an der bisherigen Anwendungspraxis wird am Beispiel der Region Halle-Leipzig ein alternatives – stärker an Zielen des Flächensparens ausgerichtetes – Modell zur Berechnung der Eigenentwicklung vorgestellt, das sich nicht nur an der demographischen Entwicklung der Gemeinden orientiert, sondern auch ortsspezifische Wohnungsbedarfe berücksichtigt.

In der Zusammenschau beleuchten die Beiträge des vorliegenden Heftes das Thema des regionalen Wachstumsmanagements mit unterschiedlichen erkenntnisorientierten Zielen und thematischen Zuschnitten. Sie zeigen die zentralen Herausforderungen in der Entwicklung von Strategien und Konzepten einer flächen- und ressourcenschonenden Siedlungsentwicklung auf und weisen auf neue Ansatzpunkte für eine wirkungsvolle Implementierung hin. Die vorgestellten nationalen und internationalen Fallbeispiele geben auf diese Weise Anstöße zum Neu- und Weiterdenken insbesondere in Bezug auf kooperative Ansätze. Das Schwerpunktheft trägt zur planungswissenschaftlichen und -praktischen Reflexion des Themas Wachstumsmanagement bei und ordnet es mit aktuellen Zugängen in die Diskussion um nachhaltige Raumentwicklung ein.