Regionales Entwicklungsbewußtsein und Handlungsbereitschaft

Modelle, Konzepte und instrumentelle Konsequenzen

Authors

  • Rolf Derenbach Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung

DOI:

https://doi.org/10.14512/rur.2490

Abstract

Durch die Diskussion um die endogene Regionalentwicklung ist die Frage aufgeworfen worden, ob sozialpsychologische Größen (Informiertheit, Entwicklungsbewußtsein, Handlungsbereitschaft) auf den regionalen Entwicklungsprozeß fördernd oder hemmend Einfluß nehmen. Mit diesem Beitrag wird versucht, diese Ausgangsüberlegung weiter zu konkretisieren. Dazu werden Modelle entwickelt, die veranschaulichen sollen, wie überregionale Ziele und regionale Ziel-Mittel-Orientierungen sich gegenseitig bedingen. Danach wird auf der Basis des Anomiekonzepts (in der Version von R.K. Merton) gezeigt, mit welcher Intensität und welcher Perspektive diese Ziel-Mittel-Orientierungen von regionalen Bevölkerungen verfolgt werden. Im zweiten Teil des Beitrags wird an Beispielen der neueren Initiativen zur Förderung regionaler Entwicklung die Umsetzung von regionalem Entwicklungsbewußtsein und Handlungsbereitschaft in der Realität veranschaulicht.

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References

Bausteine zu einer Theorie des regionalen Entwicklungsbewußtseins können aus unterschiedlichen Quellen entnommen werden. In der Entwicklungspoltheorie von Perroux spielen die “Fühlungsvorteile” (Dichte und Selektion der regionalen Interaktionen) eine wichtige Rolle. In den Untersuchungen Hägerstrands zur räumlichen Diffusion von Neuerungen wurde gezeigt, daß das Aufgreifen und Umsetzen von neuen Kenntnissen räumlich ungleich schnell erfolgt und sich daraus zwangsläufig Entwicklungsvorsprünge bzw. -rückstände ergeben. Dies kann zwar einerseits technisch erklärt werden (Vorhandensein von Diffusionskanälen), jedoch auch sozialpsychologisch (unterschiedliche Wahrnehmungsfähigkeit oder Risikobereitschaft). In den Untersuchungen zur räumlichen Selektivität von Wanderungen wird die Rolle von Negativerfahrungen in der Heimatregion und positiv gefärbten Vermutungen über die Vorteile der Zuzugsregion thematisiert. Zu nennen sind auch die Ausführungen zum kollektiven Gedächtnis von Maurice Halbwachs. Der Raum ist für ihn Träger des kollektiven Gedächtnisses. In der Regionalismusdiskussion schließlich Anfang der 80er Jahre wurde die Situation in extrem peripheren Regionen zum Teil verbunden mit den Problemen von ethnischen oder religiösen Minoritäten. In jüngster Zeit wurde Material durch die Untersuchungen im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramm “Regionalprobleme” der Schweiz zur regionalen Identität zusammengetragen.

Vgl. Böltken, Ferdinand: Subjektive Informationen für die Laufende Raumbeobachtung. In: Informationen zur Raumentwicklung (1983) H. 12, S. 1107.

In der Literatur der vorindustriellen Zeit – d. h. unter den Bedingungen einer von der Tätigkeit in der Landwirtschaft und im Kleingewerbe geprägten Arbeitswelt – werden die Zusammenhänge zwischen den Ausprägungen der naturräumlichen Gegebenheiten und den Erfahrungsmilieus der Menschen thematisiert und daraus Schlüsse auf die Mentalität regionaler Bevölkerungen und deren Geschichte gezogen. Hier sind z. B. Herder (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, insbesondere das Kapitel “Geographische Grundlagen der Weltgeschichte“) und Hegel (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1784) zu nennen. Der Raum wird als ”Hülle“ menschlicher Existenz betrachtet, eine Vorstellung, die z. B. auch in dem von Goethe geprägten Begriff ”Lebensraum“ Ausdruck gefunden hat.

Mit dem beginnenden Industrialismus ist jedoch diese geozentrische Sicht gründlich zerstört worden. Sie wurde geopfert zugunsten einer ökonomisch-ertragsbezogenen Sichtweise im Verhältnis zum Raum. Dieser Gedanke zieht sich durch die klassische Literatur der politischen Ökonomie, beginnend mit Adam Smith. Auch die Raumforschung und regionalbezogene Ökonomie haben z. B. in der Form der Standortlehren von v. Thünen (Landwirtschaft) und von Alfred Weber (Industrie) gelehrt, wie die Region nun in ihrer dienenden Funktion als Standort, als Boden, als Lieferant von Bodenschätzen und Energien gesehen wird. Diesen Arbeiten ist gemeinsam, daß nicht mehr nach der geozentristischen Motivation des Handelns, sondern nur noch nach den Potentialen, Bedingungen und Verwirklichungschancen des als a priori gedachten vorrangigen Industrialismusmodells gefragt wurde.

Vgl. dazu Merton, Robert K.: Social Theory and Social Structure. – New York 1967.

Vgl. dazu Stiens, Gerhard: Information als “Ressource” im Rahmen regional angepaßter und eigenständiger Raumentwicklung. In: Informationen zur Raumentwicklung (1984) H. 1/2, S. 175.

Schumpeter, Josef: Theorie der räumlichen Entwicklung. – Berlin 1952.

Published

1988-09-30

Issue

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Research Article

How to Cite

1.
Derenbach R. Regionales Entwicklungsbewußtsein und Handlungsbereitschaft: Modelle, Konzepte und instrumentelle Konsequenzen. RuR [Internet]. 1988 Sep. 30 [cited 2025 Nov. 10];46(5,6):258-64. Available from: https://rur.oekom.de/index.php/rur/article/view/2490

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