Wirtschaft, Wirtschaftsstruktur und internationale Verflechtung am Beispiel Niedersachsens

Authors

  • Gerhard Becher

DOI:

https://doi.org/10.14512/rur.2682

Abstract

Vor dem Hintergrund der Diskussionen um das Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik analysiert dieser Beitrag Indikatoren zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Niedersachsen im Vergleich zum Bundesgebiet insgesamt, aber auch im Vergleich zu süddeutschen Bundesländern. Dabei zeigt sich, daß in Niedersachsen gemessen an Indikatoren wie Bruttoinlandsprodukt, Steuerkraft, Entwicklung des Arbeitsmarktes und Wirtschaftsstruktur nicht nur ein nach wie vor erhebliches und in vieler Hinsicht sogar wachsendes Entwicklungsgefälle existiert, sondern daß darüber hinaus die Wirtschaftsstruktur und internationale Wettbewerbsfähigkeit offenbar labiler und anfälliger wurde und damit die Chancen eher gesunken sind, die Vorteile einer sich weiter intensivierenden internationalen Arbeitsteilung auch in der Zukunft offensiv nutzen zu können. Diese Analyse offenbart damit zugleich einen nach wie vor bestehenden, wahrscheinlich sogar wachsenden Handlungsbedarf an zielgerichteter und vorausschauender Strukturpolitik in Niedersachsen.

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References

Vgl. hierzu u. a. W. Crinius et al.: Analyse und Bedeutung raumbezogener Faktoren in Norddeutschland, Teil II: Demographische und ökonomische Entwicklungen. In: Arbeitsmaterial der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Nr. 73. – Hannover 1984; F Haller/R. Schröder: Arbeitsmarkt und Wirtschaftsstruktur in Norddeutschland 1975–1983. In: Bremer Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 3/4 1983, S. 5 ff.; R. Brune/M. Köppel: Das Nord-Süd-Gefälle verstärkt sich – Zur großräumigen Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Mitteilungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforchung, 31/1980, S. 225 ff.; Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.): Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik? Thesen und Beobachtungen (NlW-Workshop 1984). – Hannover 1984; z. T. auch K.-H. Adams/H.-F. Eckey: Regionale Beschäftigungskrisen in der Bundesrepublik Deutschland – Ursachen und Erscheinungsformen. In: WSI-Mitteilungen, Nr. 8/1984, S. 474 ff.

Vgl. hierzu neben der schon oben zit. Literatur auch die Äußerungen verschiedener Landesregierungen zu dieser Problematik sowie zuletzt die Diskussionen bei einer ganztägigen Anhörung im Wirtschaftsausschuß des Bundestages in Bonn, hier zit. n. FAZ v. 28. Februar 1985. Vgl. zu dieser Diskussion auch die Stellungnahme der Handelskammer Hamburg: Herausforderung für den Norden. Zur Diskussion um das wirtschaftliche Süd-Nord-Gefälle. – Hamburg 1984.

Z. B. R. Ertel: Zum Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik. Betrachtungen anläßlich eines Workshops. In: Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.): Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik, a. a. O. S. 151 ff.

Vgl. z. B. F. Gschwind/D. Henckel: Innovationszyklen der Industrie – Lebenszyklen der Städte In: Stadtbauwelt 82/1984, S. 134 ff., die davon ausgehen, daß heute Regionen ihre wirtschaftliche Entwicklung längst nicht mehr selbst bestimmen können, sondern “umgekehrt den Entwicklungszyklen der in ihnen vertretenen Branchen hilflos ausgeliefert sind“. Ähnlich auch die These von R. Brune/M. Köppel: Das Nord-Süd-Gefälle verstärkt sich, a. a. O., die ebenfalls einen vergleichsweise geringen Gestaltungsspielraum der regionalen Wirtschaftspolitik unterstellen. Anders dagegen z. B. viele Thesen in den einzelnen Beiträgen von J. H. Müller: Determinanten der räumlichen Entwicklung. – Berlin 1983. Auch süddeutsche Politiker betonen gerne die vergleichsweise große Bedeutung der Landes-Wirtschaftspolitik bei der Erklärung regional unterschiedlicher Entwicklungen.

Allerdings fehlt es immer noch an ausreichenden empirischen Studien zu den regionalen Folgen der sich intensivierenden internationalen Verflechtung. Trotzdem wird die Bedeutung der sich ändernden internationalen Rahmenbedingungen bei der Erklärung der regionalen Entwicklungsprobleme kaum noch bestritten. In Bezug auf das Nord-Süd-Gefälle vgl. hierzu u. a. die Arbeit von R. Brune/M. Köppel, a. a. O., die die internationale Wettbewerbsfähigkeit (hier gemessen insbesondere an der Empfindlichkeit gegenüber Preisänderungen auf den Weltmärkten) sogar als einen der entscheidenden Faktoren zur Erklärung regional unterschiedlicher Entwicklungspotentiale identifizieren. Einen Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand hierzu habe ich schon an anderer Stelle gegeben. Vgl. dazu z. B. meinen Aufsatz: Internationale Verflechtung und regionale Entwicklung. Eine kritische Literaturübersicht. In: Raumforschung und Raumordnung, Heft 2/1984, S. 105 ff., der auch eine Einführung in die entsprechenden methodischen Probleme enthält.

Die folgenden Ausführungen stützen sich dabei teilweise auf eine umfangreiche Forschungsarbeit des Verfassers zum Thema “Internationale Verflechtung und regionale Entwicklung. Das Beispiel Niedersachsen“, die demnächst im Steinweg-Verlag, Braunschweig, veröffentlicht wird.

Diesen Entwicklungsabstand bestätigt jetzt auch eine Untersuchung der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung, in der z. B. für Baden-Württemberg eine Pro-Kopf-Kaufkraft von 5,1 % über dem Bundesdurchschnitt festgestellt wurde. Ebenfalls ein Plus von 2,2 % gibt es in Hessen, während Niedersachsen mit −5,5 % und das Saarland mit 9,2 % am Ende der Skala rangieren. Schlußlichter bei einem Kaufkraftvergleich auf der Ebene der Stadt- und Landkreise sind aus Niedersachsen vor allem die Kreise im Weser-Ems-Gebiet.

Zahlen nach Statistisches Bundesamt (Hg.): Bevölkerungsstruktur und Wirtschaftskraft der Bundesländer 1983. – Wiesbaden 1984. Vgl. zuletzt auch Bundesministerium für Finanzen (Hg.): Finanzbericht 1985. – Bonn 1984, sowie, zu den kommunalen Auswirkungen, Deutscher Städtetag (Hg.): Gemeindefinanzbericht 1984 (Sonderdruck aus Heft 2/1984 der Zeitschrift “Städtetag“).

Zahlen nach Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Statistik (Hg.): Statistische Berichte Niedersachsen E/S 2 – m 10/84. – Hannover 1985.

Zahlen hierzu zuletzt auch in Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.): Regionalbericht 1984. – Hannover 1985. Daß gerade im Hinblick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit das wachsende Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik am ausgeprägtesten ist, bestätigen im übrigen auch alle andere Studien zu dieser Thematik. Vgl. dazu die schon in Anm. 1 genannte Literatur.

Dies bestätigte auch schon die Untersuchung von W. Crinius et al.: Analyse und Bewertung raumbedeutsamer Faktoren in Norddeutschland, a. a. O., hier v. a. S. 53 ff.

Vgl. hierzu ausführlich auch H. U. Jung: Der Arbeitsmarkt in Niedersachsen. Analyse der Entwicklungstendenzen seit Anfang der siebziger Jahre im Vergleich zum Bundesgebiet. – Hannover 1983 (NIW (Hg.): Forschungsberichte, Nr. 4), sowie die in Anm. 6 genannte Untersuchung des Verfassers.

Vgl. hierzu u. a. auch die Daten, die regelmäßig von der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung innerhalb des Systems der Laufenden Raumbeobachtung veröffentlicht werden.

Daß die traditionelle Regionalpolitik bisher gerade dem wachsenden Süd-Nord-Gefälle nicht begegnen konnte und es wohl auch in der Zukunft kaum wird beseitigen können: dies war auch die einhellige Meinung der wirtschaftswissenschaftlichen Institute auf der schon erwähnten Anhörung im Wirtschaftsausschuß des Bundestages zu diesem Thema. Vgl. u. a. FAZ v. 28. Februar 1985.

Vgl. zur historischen Entwicklung zuletzt auch Th. Schnöring: Regionale Industrieproduktion und internationale Absatzmärkte am Beispiel der norddeutschen Küstenländer. – Husum 1982.

Vgl. zur strukturellen Entwicklung der westdeutschen Wirtschaft insgesamt die sog. Strukturberichte der 5 großen Forschungsinstitute

Ausführliche Zahlen und Hinweise hierzu in der schon in Anm. 6 zitierten Studie Diese Entwicklungen bestätigen damit auch zum Beispiel Niedersachsen die häufig gehörte Kritik, daß gerade die bisherige Regionalpolitik in peripheren Regionen nur allzu oft strukturschwache Branchen gefördert, z. T. sogar erst angesiedelt hat.

Einige Zahlen hierzu finden sich auch bei W. Crinius et al., a. a. O. Grundlegend zu diesen Problemen vgl. auch den schon oben zitierten Band von J. H. Müller: Determinanten der regionalen Entwicklung, a. a. O., darin besonders den Beitrag von K. Peschel.

Ähnliches gilt auch für den Maschinenbau, der in Niedersachsen 15 % seiner Beschäftigten entläßt (Baden-Württemberg: – 4 %, in Bayern und Schleswig-Holstein aber neue Arbeitskräfte einstellt.

Nach Angaben des Bayerischen Statistischen Landesamtes.

Die Folge: Nur sechs der 150 größten deutschen Firmen haben in Niedersachsen ihren Firmensitz. Darunter wiederum ist kein Unternehmen der Chemie- und Elektroindustrie, der Datenverarbeitung, der Luft- und Raumfahrttechnik oder gar der Informations- und Nachrichtentechnik, die alle zu den Wachstumsindustrien zählen. Wo aber die Großen fehlen, siedeln sich auch kaum Zuliefererbetriebe an.

Grundsätzlich berührt dieser Sachverhalt das Problem der “funktionalen Arbeitsteilung” zwischen Regionen, das in der Forschung zu Recht in letzter Zeit etwas stärker berücksichtigt wurde Vgl. dazu u. a. R. W. Wettmann/H.-J. Ewers: Funktionale Disparitäten der regionalen Wirtschaftsstruktur als regional-politisches Problem. In: W. Bruder/Th. Ellwein: Raumordnung und staatliche Steuerungsfähigkeit. – Opladen 1980, S. 254 ff.; F.-J. Bade/A. Eickelpasch: Funktionale Arbeitsteilung und regionale Beschäftigungsstruktur. In: D. Garlichs et al. (Hg.): Regionalisierte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. – Frankfurt 1983, S. 66 ff.

S. z. B. W. Väth: Ökonomische Stagnation und Raumordnungspolitik. In: W. Bruder/Th. Ellwein: Raumordnung und staatliche Steuerungsfähigkeit, a. a. O., S. 58 ff. In unterschiedlichem Ausmaß scheint diese These im übrigen für den gesamten norddeutschen Raum zuzutreffen.

Vgl. hierzu u. a. das immer noch klassische Standardwerk von J. Fourastié: Die große Hoffnung des Zwanzigsten Jahrhunderts. – Köln 1969.

Im übrigen muß dabei davon ausgegangen werden, daß sich die negativen Strukturprobleme im sekundären Sektor einerseits und im tertiären Sektor andererseits gegenseitig verstärken. Vgl. dazu zuletzt auch M. Köppel: Dienstleistungssektoren und regionale Entwicklung. In: Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.): Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 33 ff.

Vgl. dazu ausführlich v. a. die Studien des französischen Forschungsinstitutes CEPII, v. a. ders. (Hg.): Économie mondiale: la monteé des tensions. – Paris 1983, sowie die Strukturberichte der fünf westdeutschen Wirtschaftsforschungsinstitute.

Vgl. hierzu auch die Hinweise in Anm. 5. Zur Entwicklung in Niedersachsen vgl. speziell auch H. Legler: Internationale Wettbewerbsfähigkeit der niedersächsischen Wirtschaft (Forschungsberichte des NIW, Nr. 6). – Hannover 1983, sowie die in Anm. 6 genannte Studie. Zu den Problemen der internationalen Verflechtung für eine Teilregion Niedersachsens vgl. auch die Artikelserie G. Becher et al.: Regionale Strukturprobleme und ihre Folgen – Das Beispiel Südostniedersachsen. In: Neues Archiv für Niedersachsen, Heft 1–3/1983.

So, wie schon erwähnt, auch R. Brune/M. Köppel: Das Nord-Süd-Gefälle verstärkt sich, a. a. O.

Vgl. hierzu etwa am Beispiel Baden-Württembergs M. Körber-Weik/H. Enke: Die Auslandsverflechtung Baden-Württembergs 1960–1979. Bestandsaufnahme und erste Analysen. – Tübingen 1981 sowie R. Brune/A. E. Ott: Anpassung an veränderte internationale Angebots- und Nachfragestrukturen: Das Ruhrgebiet und Baden-Württemberg im Vergleich. In: Beihefte der Konjunkturpolitik, Heft 29/1982: Die westdeutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb, S. 83 ff, sowie die schon in Anm. 6 genannte Studie.

Vgl. z. B.: Der Niedersächsische Minister für Wirtschaft und Verkehr: Antwort auf eine Große Anfrage, betr.: Strukturpolitik in Niedersachsen. In: Niedersächsischer Landtag, Drucksache 10/1904.

Ähnlich im Ergebnis die Arbeit von P. Klemmer: The Regional Impact of Multinational Corporations. In: Investment and Divestment Policies of Multinational Corporations in Europa Hrsg.: European Centre for Study and Information on Multinational Corporations. – Northamptonshire 1979, S. 187 ff.

Vgl. dazu auch die schon mehrfach zitierten Strukturberichte der 5 Wirtschaftsforschungsinstitute.

Vgl. hierzu im einzelnen die in Anm. 6 genannte Studie

Published

1985-05-31

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1.
Becher G. Wirtschaft, Wirtschaftsstruktur und internationale Verflechtung am Beispiel Niedersachsens. RuR [Internet]. 1985 May 31 [cited 2024 Oct. 15];43(3):110-9. Available from: https://rur.oekom.de/index.php/rur/article/view/2682

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