Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer

Kritische Bemerkungen zu ihrem Zuschnitt

Authors

  • Werner Rutz Geographisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

DOI:

https://doi.org/10.14512/rur.2068

Abstract

Mit der Wiedervereinigung fielen auch die seit 1952 geltenden zentralistischen Verwaltungsstrukturen des SED-Regimes. Der rasche Ablauf der Ereignisse nach der Wende verhinderte eine sinnvolle Neuabgrenzung von Ländern; die fünf neuen Länder wurden in Anlehnung an die zuvor geltenden Bezirksstruktur nach dem Vorbild der bis 1952 existierenden fünf Länder gebildet. Gemessen an der Größe der zehn westlichen Bundesländer wären drei neue Bundesländer gerechtfertigt gewesen. Zwei Länder hätten entstehen müssen, wenn auch im Westen die zuletzt 1973 diskutierten Pläne für eine Verringerung der Länderzahl wiederaufgegriffen worden wären. Vier neue Länder – bei Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt – wären bei einem sinnvollen Ausgleich aller Ansprüche zustande gekommen. Unter Berücksichtigung landsmannschaftlicher und historisch-kultureller Zusammenhänge wären bis zu acht neue Länder wünschenswert gewesen. Die aus raumordnerischer Sicht schwersten Fehler im Zuschnitt der neuen Länder sind: Die Aufteilung des mitteldeutschen Industrie-Reviers auf Sachsen und Sachsen-Anhalt, die Rückgliederung von Altenburg und Schmölln nach Thüringen und die Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen, die die Lausitz auf zwei Länder aufteilt.

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References

(1) Nach Regierungspressedienst der DDR, Nr. 15 vom 14. Mai 1990, S. 3

(2) Ob die Grenze zwischen den beiden Bezirken als endgültige Landesgrenze zwischen Brandenburg und Sachsen ins Auge gefaßt oder ob auch daran gedacht worden war, daß zusätzlich einzelne Kreise oder Kreisteile aus dem Bezirk Halle, etwa Quedlinburg, Aschersleben oder Bernburg, zu Brandenburg gehören sollten, ist nicht bekannt.

(3) Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990; dort § 85 (1): "Der Kreistag ist die Vertretung der Bürger und oberstes Willens- und Beschlußorgan des Landkreises."

(4) Weitere Erläuterungen zu den drei Kreistagsbeschlüssen in Altenburg, Senftenberg und Bad Liebenwerda gibt der Verfasser in einer ausführlicheren Fassung dieses Beitrags in einem Sammelband: "Die Zukunft des kooperativen Föderalismus in Deutschland". Berichte und Studien der Hanns-Seidel-Stiftung, Bd. 63, – München 1991

(5) Dargelegt in einer Broschüre der Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen: "Zu Problemen der territorialen Gestalt der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in Verwirklichung des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 und Empfehlung für die Behandlung von Anliegen auf territoriale Veränderungen, die Ländergrenzen berühren". – Berlin, November 1990, S. 3

(6) Eine tabellarische Übersicht dazu ist in der Anm. (4) genannten Veröffentlichung (dort Übersicht 3) abgedruckt.

(7) Für die Zeit vor dem Beitritt versagen die statistischen Quellen; die gegenwärtige wirtschaftliche Lage der neuen Länder (März 1991) gibt keine Anhaltspunkte für ihre zukünftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Einkommensvergleiche mit den alten Bundesländern sind zur Zeit irrelevant, selbst wenn entsprechende Kennwerte vorlägen.

(8) Auf das umfangreiche, 1990 durch mehrere Beiträge ergänzte Schrifttum zur Frage der optimalen Größe deutscher Bundesländer wird hier nicht näher eingegangen. Ausgangspunkt aller jüngeren Beiträge ist der Bericht der Sachverständigenkommission (Ernst-Kommission) für die Neugliederung des Bundesgebietes im Jahr 1972, Kurzfassung bearbeitet von Timmer, R.: Neugliederung des Bundesgebietes. – Köln 1973, S. 45. Die "Ernst-Kommission" nennt in ihrem Bericht die Mindesteinwohnerzahl von 5 Mio. (Kurzfassung, S. 61).

(9) Münchheimer, Werner: Die Neugliederung Mitteldeutschlands bei der Wiedervereinigung. – Göttingen 1954. 185 S., 25 Karten

(10) Münchheimers Gliederungsvorschlag wird unter den neuen Vorschlägen nur aufgegriffen von Malchus, Viktor Freiherr von: Überlegungen und Vorschläge zur Verwaltungsreform und Raumordnung in der DDR. Hrsg.: Jakob-Kaiser-Stiftung e.V. – Königswinter, März 1990, Reihe: Entwicklung in Deutschland, Manuskripte zur Umgestaltung in der DDR.

(11) Für die bevorstehende Kommunalgebietsreform in den fünf neuen Bundesländern ist Münchheimers Studie allerdings immer noch aktuell; sie sollte nicht übersehen werden.

(12) = Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes im Jahre 1972: Neugliederung des Bundesgebietes. – Köln 1973

(13) Vgl. Habicht, Günter: Neuordnung des föderalen Systems. Sieben starke Bundesländer ... In: Berliner Rundschau vom 30.3.1990, S. 3; Gobrecht, Horst: Presseerklärung vom 18. April 1990 (Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund): Der neue Bundesstaat braucht starke Länder. Nachgedruckt z.T. unter anderen Titeln in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 91 vom 19.4.1990, S. 5; erweiterte Fassungen in: Recht und Politik (1990) H. 2, und in: Zeitschrift zur politischen Bildung und Information (Eichholz-Brief) (1990) Nr. 4, S. 77. Eine Zwei-Länder-Lösung wird auch in der in Anm. (16) genannten Denkschrift von Rutz diskutiert.

(14) Vgl. Blaschke, Karlheinz: Alte Länder – Neue Länder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu: Das Parlament, Bonn (1990) Nr. 27, S. 52

(15) Vgl. Hansmeyer, K.-H.; Knops, M.: Die Gliederung der Länder in einem vereinigten Deutschland. In: Wirtschaftsdienst, Hamburg, 70 Jg. (1990), Nr. 5, S. 234–239

(16) Vgl. Rutz, Werner: Denkschrift zur Länderneubildung. Rutz, Werner: Denkschrift zur Länderneubildung auf dem Gebiet der gegenwärtigen DDR. In: Politische Studien, H. 313. – München 1990, S. 604–625

(17) Veröffentlicht wurde diese Lösung als Grundvariante B durch Scherf, Konrad; Zaumseil, Lutz: Zur politisch-administrativen Neugliederung des Gebiets der DDR. In: Raumforschung und Raumordnung, Köln, 48. Jg. (1990), H. 4–5, Karte 3 (S. 237) und Karte 4 (S. 238)

(18) Vgl. Rutz, Werner: Denkschrift zur Länderneubildung ..., s. Anm. (16)

(19) Vgl. Blaschke, Karlheinz: Alte Länder – Neue Länder, s. Anm. (14)

(20) Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, das knapp unter 2 Mio. Einwohner hat und deshalb nur drei Sitze im Bundesrat beanspruchte, besitzen die anderen vier neuen Länder zwischen 2 und 6 Mio. Einwohner und hätten deshalb vier Sitze zugewiesen bekommen.

(21) Vgl. Blaschke, Karlheinz: Alte Länder – Neue Länder, s. Anm. (14)

(22) Mit dem am 31. August 1990 ratifizierten Einigungsvertrag, dort Art. 4 (3), wurde der Art. 51 (2) GG geändert. Nach der neuen Regelung erhält jedes Land mindestens drei Stimmen im Bundesrat, Länder mit mehr als 2 Mio. Einwohnern vier, solche mit mehr als 6 Mio. Einwohnern fünf und Länder mit mehr als 7 Mio. Einwohnern sechs Stimmen.

(23) Rest der ehemaligen preußischen Provinz Niederschlesien, soweit westlich der Görlitzer Neiße gelegen; dieses Territorium ist ein Teil der zeitlich früher existierenden Oberlausitz.

(24) Das ist auf der Karte 5 als Variante dargestellt worden.

(25) Auch die möglichen Grenzen dieser sieben Länder sowie die von sechs, fünf, vier und drei Länder sind auf der Karte 5 dargestellt.

(26) Das ist auch bei der von mehreren Fachleuten vorgeschlagenen Vier-Länder-Lösung der Fall; vgl. Anm. (16) und Anm. (17).

(27) Auch unabhängig von der sog. Fünf-Länder-Lösung "Preußen plus Vier" (vgl. die in Anm. (16) zitierte Denkschrift); bei der Lösung "Preußen plus Vier" hätten alle ehemals preußischen Landesteile zu einem neuen "Bundesland Preußen" zusammengefaßt werden sollen.

(28) Das Land mit dem Doppelnamen entstand 1990 nach dem Muster von 1945; später, 1947 bis 1952, hieß das Land nur "Mecklenburg", weil der Begriff "Pommern" ideologisch unterdrückt werden sollte. Inwieweit es noch 1991 oder später zu einer Autonomie von Vorpommern kommen wird, etwa durch die Schaffung von zwei Landschaftsverbänden, ist z.Z. (März 1991) noch nicht entschieden.

(29) Die Vorschläge zur Vier-Länder-Lösung sind am Ende des Kap. 2 genannt und auf Karte 4c dargestellt.

(30) Vgl. Blaschke, Karlheinz: Alte Länder – Neue Länder, s. Anm. (14)

(31) Welcher Länderanteil im Namen voranzustellen ist, läßt sich politisch-historisch schwer entscheiden, denn Thüringen kann das höhere Alter in die Waagschale werfen, Sachsen gab dem Gesamtraum den Namen, seit die Wettiner 1423 die sächsische Kur- und Herzogswürde erwarben. Um auf Karten die Zuordnung der beiden Landesteile zu ihren historischen Namen zu ermöglichen, könnte das Land nur Thüringen-Sachsen genannt werden. Thüringen liegt im Westen, Sachsen im Osten, bei genordeten Karten also Thüringen links und Sachsen rechts. Die in Europa verbreitete lateinische Schrift wird von links nach rechts gelesen; dadurch können Karten nur dann unmißverständlich beschriftet werden, wenn im Namenszug "Thüringen" links und "Sachsen" rechts stehen darf.

(32) Vgl. die sog. Zwei-Länder-Lösungen, die in den Anm. (10) und (13) angeführt sind.

(33) Bericht der Sachverständigenkommission (Ernst-Kommission) für die Neugliederung des Bundesgebietes im Jahr 1972, Kurzfassung, S. 63 (vgl. Anm. (8))

(34) Entsprechend der Drei-Länder-Lösung von Blaschke, Karlheinz (vgl. Anm. (14)), Variante D

(35) Zur Lausitz nimmt Blaschke, Karlheinz (vgl. Anm. (14)) auf S. 43 Stellung; Rutz, Werner (vgl. Anm. (16)) auf S. 11 und S. 22. Auch in der Regierungskommission unter Modrow und de Maizière war an die Zuteilung des Bezirks Cottbus nach Sachsen gedacht worden. Vgl. dazu den Artikel von Scherf, Konrad und Zaumseil, Lutz (vgl. Anm. (17)), dort Karte 2, Teilregion 3, und Karten 4 und 5, Bezirk Cottbus.

(36) Neben der raumordnungspolitischen Begründung dafür, die vorstehend angeführt wurde, vgl. auch die historisch-landsmannschaftlichen Gründe, die in Kap. 3 genannt sind.

(37) Vgl. Scherf, Konrad; Zaumseil, Lutz (vgl. Anm. (17)), Grundvariante B (Karten 3 und 4)

(38) Vgl. die in den Anm. (14) und (16) genannten Veröffentlichungen

(39) Anmerkung nach Abschluß des Manuskriptes. Sehr viel unmittelbarer hat der sächsische Historiker Karlheinz Blaschke die Entwicklung der Länderneubildung verfolgt. Auch er hatte schon früh auf sinnvolle Länderzuschnitte aufmerksam gemacht (vgl. Anm. (14)). In einer neuen Studie faßt er das Geschehen zusammen: Blaschke, Karlheinz: Das Werden der neuen Bundesländer. In: Auf dem Wege zur Realisierung der Einheit Deutschlands. Hrsg.: Fischer, Alexander; Haendcke-Hoppe, Maria/Gesellschaft von Deutschlandforschung. – Berlin 1991. Die kritischen Anmerkungen von Blaschke machen vollends deutlich, daß die fünf neuen Länder überstürzt und gegen bessere Einsicht errichtet wurden.

Published

1991-09-30

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1.
Rutz W. Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer: Kritische Bemerkungen zu ihrem Zuschnitt. RuR [Internet]. 1991 Sep. 30 [cited 2024 Nov. 11];49(5):279-86. Available from: https://rur.oekom.de/index.php/rur/article/view/2068

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