Großräume und Regionen unter dem Druck neuer Zeitregimes

Authors

  • Gerhard Stiens Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung

DOI:

https://doi.org/10.14512/rur.2165

Abstract

Den Ausgangspunkt bildet eine offensichtliche Gesetzmäßigkeit, daß nämlich mit technisch ermöglichter Beschleunigung der Raumüberwindung ebensolche Grade und Stufen beschleunigten ‚Raumverbrauchs‘ und raumstrukturellen Wandels einhergehen. Diese Auswirkung – als nur eine unter den vielfältigen Auswirkungen neuer ‚Zeitregimes‘, d.h. neuer Stufen raumwirtschaftlicher Beschleunigung – fällt im verkehrsinfrastrukturellen Bereich noch am deutlichsten ins Auge. Hierzulande sind augenblicklich unter raumpolitischen Aspekten zwei zeitstrukturelle Umbrüche besonders aktuell: Erstens die Angliederung einer „geschützten Zone im Überfluß vorhandener Zeit“ (ehemalige DDR) an die Stufe „komprimierter Zeit“ im Westen und die Auswirkungen einerseits im angegliederten Raum, andererseits im raumpolitischen Bereich; zweitens die räumlichen und raumpolitischen Auswirkungen der neuen Beschleunigungsstufe (‚Globalisierung‘) der internationalen Wirtschaftsprozesse, die hauptsächlich durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken ermöglicht wurde. Hiermit scheint – im Trend unterstützt durch raumstrukturierende Politik, wie in früheren Fällen – ein neuer Veränderungsschub in der Siedlungsstruktur- und Raumstrukturentwicklung einherzugehen, mit erheblichen ökologischen und sozialpolitisch bedenklichen Folgen und mit starken räumlichen Unterschieden unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten.

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References

(1) Baier, L.: Volk ohne Zeit. – Berlin 1990

(2) Vgl. etwa (als Titel unter vielen): Dürr, H.: Planungsbezogene Aktionsraumforschung. Theoretische Aspekte und eine empirische Pilotstudie. – Hannover 1979. = ARL-Beiträge, Bd. 43, oder Klingbeil, D.: Zeit als Prozeß und Ressource in der Sozialwissenschaftlichen Humangeographie. – In: Geogr. Zeitschrift (1980), H. 1, S. 1–31; Harvey, D.: Between Space and Time: Reflection on the Geographical Imagination. – In: Annals of the Ass. of American Geographers (1990), 3, S. 418–434

(3) Vgl. etwa: Fürstenberg, F.; Mörth, J. (Hrsg.): Zeit als Strukturelement von Lebenswelt und Gesellschaft. – Linz 1986; Novotny, H.: Eigenzeit. Entstehung und Strukurierung eines Zeitgefühls. – Frankfurt a.M. 1989; Zoll, R. (Hrsg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit. – Frankfurt a.M. 1988

(4) Vgl. z.B. Kreibich, V.; Kreibich, B.; Ruhl, G.: Aktionsraumforschung in der Landes- und Regionalplanung. Entwicklung eines Raum-Zeit-Modells. – Dortmund 1987. (ILS (Hrsg.): Schriftenreihe Landesentwicklung. Bd. 1.041); Henckel, D. (Hrsg.): Arbeitszeit, Betriebszeit, Freizeit. Auswirkungen auf die Raumentwicklung. – Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1988 (Schriften des Deutsch. Inst. für Urbanistik, Bd. 80); Hoormann, J.: Raumentwicklung in der Zeitfalle? Aspekte zur raumstrukturellen Bedeutung und Flexibilisierung von Zeitstrukturen – unter besonderer Berücksichtigung der Metallindustrie. – Pfaffenweiler 1991

(5) Hoormann, ]., a.a.O., S. 31

(6) Vgl. Hoormann, J., a.a.O.; Stiens, G.: Die sozialpolitische Dimension der Infrastrukturplanung unter Aspekten der Zeitbindung. – In: Informationen zur Raumentwicklung (1989) 1, S. 27–36

(7) Franck, G.: Raum, Zeit und Aufmerksamkeit. Zum Einfluß der Telematik auf Stadt und Umwelt. – In: Bauwelt (1990), H.22, S. 1089

(8) Steiner, J.: Raumgewinn und Raumverlust: Der lanuskopf der Geschwindigkeit. – In: Raum (1991), H. 3, S. 24–27

(9) Ebenda, S. 24.

(10) Ebenda, S. 26.

(11) Franck, G., a.a.O., S. 1090

(12) Hermann-Stojanow, J.; Stojanow, C.: Zeit als Ordnungsprinzip des individuellen und gesellschaftlichen Lebensprozesses. – In: Fürstenberg, F.; Mörth, J. (Hrsg.), a.a.O., S. 111–132

(13) Baier, L., a.a.O.

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(15) Diskussion dazu: Becker-Marx, K.: Ein Requiem für die Raumordnung? Zum zwanzigjährigen Bestehen des Raumordungsgesetzes. Abgesang oder Ermunterung? – In: Die öffentliche Verwaltung (1985), H. 7, S. 272–274

(16) Vgl. u.a. Barnes, W.R.; Lebedur, L.C.: Toward a new political economy of metropolitan regions. – In: Environment and Planning C: Government and Policy (1991), Vol. 9, S. 127–141; Haü, P.: Three Systems, Three Separate Paths. – In: APA Joumal (1991), S. 16–20; Castells, M.: The Informational City: Information Technology, Economic Restructuring and the Urban Regional Process. – Oxford 1990; Wenk, R.: Verkehrsinfrastrukturpolitik der EG. – In: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft (1992), H. 3, S. 180–188

(17) Vgl. u.a. Harvey, D., a.a.O.; Friedmann, J.: The World-City Hypothesis. – In: Development and Change, Vol. 17 (1986), S. 69–86; Häußermann, H.: Entwicklungstendenzen großräumiger Disparitäten. In: Becker, U. et al.: Räumliche Wirkungen des sozioökonomischen Strukturwandels und seine Folgen für die Stadt- und Regionalplanung. – Berlin 1988, S. 20–31; Korff, R.: Die Weltstadt zwischen globaler Gesellschaft und Lokalitäten. In: Zeitschrift für Soziologie (1991), H. 5, S. 357–368; Keeble, D.: De-industrialisation, new industrialisation processes and regional restructuring in the European Community. – In: Wild, T.; Jones, Ph.: De-industrialisation and new industrialisation in Britain and Germany. – Cambridge 1991, S. 40–65; Kunzmann, K. R.; Wegener, M.: The Pattern of Urbanisation in Western Europe 1960–1990. – Dortmund 1991 (Berichte aus dem Institut für Raumplanung, Bd. 28); IRPUD: Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf die Raum- und Siedlungsstruktur in Westdeutschland. – In: BMBau (Hrsg.): Raumordnerische Aspekte des EG-Binnenmarktes. – Bonn 1991; Ossenbrügge. J.: Der Regulationsansatz in der deutschsprachigen Stadtforschung. – In: Geographische Zeitschrift (1992), H. 2, S. 121–127

(18) Rijksplanologischer Dienst: Perspektiven in Europa. Eine Studie von Optionen für eine europäische Raumordnungspolitik. Zusammenfassung. – Den Haag 1991

(19) Bezeichnung in: DIFU-Projektgruppe: Zeitplanung. – In: Henckel, D. (Hrsg.), a.a.O., S. 158

(20) Terminus vgl. bei Steiner, J., a.a.O.

(21) Vgl. Castells, M., a.a.O.

(22) Vgl. BMBau: ‚Raumordnungspolitischer Orientierungsrahmen‘ – Erster Entwurf. – Bonn 1992 (unveröff. Entwurfsfassung)

(23) Vgl. Steiner, J., a.a.O., S.26

(24) Zu registrieren ist die Neigung, den international bedeutsam erachteten Zentren und Agglomerationen eine erhebliche funktionsräumliche Ausdehnung zu ermöglichen, – über benachbart gelegene Regionen mit großstädtisch geprägten Oberzentren hinaus. Etliche dieser Städte benachbarter Regionen sollen zu Zentren von „Entlastungsräumen“ werden; von Räumen mithin, die künftig – ausgewiesenermaßen – funktional eingebundene Teilräume der weiträumigen Umfeldlandschaften der Metropolräume darstellen (siehe u.a. in: BMBau: Raumordnungspolitischer Orientierungsrahmen, a.a.O.).

(25) Vgl. u.a. Ganser, K.: Internationale Bauausstellung Emscher-Park. – In Stadtbauwelt (1988), S. 2128. Zitat hieraus: „Die Infrastrukturqualität der Zukunft wird die Landschaft sein. Wer davon zu wenig hat, wird nicht überleben. Nicht irgendeine Landschaft, sondern eine ökologisch intakte und ästhetisch befriedigende.“

(26) Vgl. dazu z.B. Weyl, H.: Aufgabenverluste und Aufgabenveränderungen der Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland in den neunziger Jahren. In: Heer, E. et al. (Hrsg.): Aspekte der Raumplanung in Europa. – Zürich 1990, S. 410–423 (ORL-Schriftenreihe, Bd. 42); Häußermann, H., a.a.O.; IRPUD, a.a.O.

(27) Dazu könnten künftig zusätzlich gehören: die sich vergrößernde Zahl großstädtisch geprägter Regionen, die auch längerfristig nicht aus ihren relativen Modernisierungsrückständen herauszukommen drohen, sowie Teilräume auch in den dynamischen Agglomerationen, in denen die Lebensbedingungen für die Mitglieder von Haushalten bis hin zu mittleren Einkommen zunehmend ungünstiger ausfallen als die Lebensbedingungen vergleichbarer Haushalte in anderen Raumlagen. (Vgl. dazu IRPUD, a.a.O.; DIW et al.: Mittel- und langfristige Entwicklungsperspektiven für Stadtregionen angesichts veränderter Rahmenbedingungen. – Bonn 1993 (z. Veröff. vorges.; Bericht über Ergebnisse eines BMBau-Forschungsprojektes).

(28) Vgl. Harvey, a.a.O., oder die Idee der Regionalakademien mit der Aufgabe, Regionalbewußtsein zu produzieren: Sieverts, Th.: Neue Aufgaben für den Städtebau im alten Europa. Voraussetzungen, Prinzipien, Beispiele. – In: Sieverts, Th.: Zukunftsaufgaben der Stadtplanung. – Düsseldorf 1990, S. 1–34

(29) Vgl. dazu IRPUD, a.a.O.

(30) Vgl. Harvey, D., a.a.O.; Hasse, J.: Die räumliche Vergesellschaftung des Menschen in der Postmoderne. – Karlsruhe 1988 (Karlsruher Manuskr. zur Mathematischen und Theoretischen Wirtschafts- und Sozialgeographie, H.91).

(31) Räumliche Einheiten des Mesobereichs sollen – wie von Kurt Biedenkopf empfohlen – in den neuen Bundesländern als territoriale Bezugsflächen für die Ausbildung räumlicher Identifikation und Identität dienen: Ausgleich dafür, daß das Ziel der Herstellung von „Gleichwertigkeit“ zwischen großen regionalen Räumen aufgegeben wird zugunsten von nun sog. „vergleichbaren Lebensverhältnissen“, die die Akzeptierung „größerer Ungleichheiten“ einschlössen. Und diese würden eben nur akzeptiert werden, so Biedenkopf, wenn regionale Einheiten „eine Identität besitzen; eine Identität, die die Vergleichbarkeit der Regionen reduziert und es damit leichter macht, Ungleichheiten zu akzeptieren“ (Biedenkopf, K.: Die gewohnten Antworten taugen nicht mehr. Eine Standortbestimmung zwischen Wiedervereinigung, europäischem Binnenmarkt und Zusammenarbeit in Osteuropa. – In: Berliner Zeitung (1992), Nr. 75, S. 35). Diese ‚Aufgabe‘ der Region wird zunehmend auch für regionale Räume in den alten Bundesländern als die ‚eigentliche‘ angesehen, auch wenn dies erst zufällig schriftlichen Niederschlag findet.

(32) Beispielsweise: Schwahn, Ch.: Landschaftsästhetik als Bewertungsproblem. Zur Problematik der Bewertung ästhetischer Qualität von Landschaft als Entscheidungshilfe bei der Planung landschaftsverändemder Maßnahmen. – Hannover 1990 (Beiträge zur räumlichen Planung, H. 28). In diesem Kontext könnten auch – sofern für derartige Rhetorik bzw. Ideologie aufbereitet – die Ergebnisse all der Forschung zur räumlichen Abgrenzung und zur Ausbildung von „Regionalbewußtsein“ oder „regionaler Identität“ ihre Dienste leisten; vgl. hierzu etwa: Hard, G.: Das Regionalbewußtsein im Spiegel der regionalistischen Utopie. – In: Informationen zur Raumentwicklung (1987), H. 7/8, S. 419–140, insbes. S. 429 ff.

(33) Vgl. z.B. Dear, M.: Privatization and the rhetoric of planning practice. – In: Environment and Planning D: Society and Space (1989), Vol. 7, S. 449–462

(34) Vgl. etwa: Assion, P.: Zum Kontext des neuen regionalkulturellen Historismus in der Bundesrepublik Deutschland. Kulturmusealisierung als Kompensatorik? – In: Informationen zur Raumentwicklung (1987), H. 7/8, S. 475–184; Hasse, H., a.a.O..

Published

1992-11-30

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Research Article

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1.
Stiens G. Großräume und Regionen unter dem Druck neuer Zeitregimes. RuR [Internet]. 1992 Nov. 30 [cited 2024 Apr. 27];50(6):295-302. Available from: https://rur.oekom.de/index.php/rur/article/view/2165

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